Yoga, Meditation und Atmen Folge 2 - Yoga
Was das Nervensystem mit Trauma zu tun hat und warum Bewegung hilft
Im Sommer 2020 begann eine neue Fortbildungsreihe, an der ich teilnehme: Yoga, Meditation und bewusstes Atmen von Judith Vogel-Weissinger, Psychotherapeutin und Yoga-Lehrerin aus Berlin*. In drei Modulen lernen wir, wie körper- und erfahrungsbasierte Methoden in der Therapie helfen, aber auch wie sie uns Psychotherapeutinnen und -therapeuten als Selbstfürsorge dienen können. Teil 1 findet ihr bereits in meinem Blog – hier kommt Teil 2. Heute wird es etwas theoretischer, aber es lohnt sich definitiv, am Ende wartet auch eine kleine Belohnung! :-)
Wow – es sind wirklich 1,5 Jahre seit dem letzten Modul vergangen. Und wer hätte es gedacht, unter anderem hatte die Pandemie hier einiges mitzureden. Nach einigen Terminverschiebungen und Terminkollisionen war es im Dezember 2021 endlich so weit – ich konnte am 2. Modul teilnehmen. Der Fokus lag diesmal auf den Asanas – also der Haltung und den Körperübungen im Yoga – von Westlern auch als eigentliches Yoga verstanden. Ich hatte inzwischen meine Hausaufgaben gemacht und mir ein Meditationskissen und auch eine etwas dickere Yoga-Matte besorgt – ernsthaft, für den Po beim langen Sitzen auf dem Boden eine echte Wohltat. Und auch beim Yoga wollte ich diesmal vorbereiteter sein und habe ein paar Wochen vorher Yoga @home praktiziert. Wer hier aufmerksam beim Lesen ist und meinen Blog verfolgt hat – ja, in der langen Pause ist der ein oder andere Vorsatz regelmäßig zu praktizieren in den Hintergrund gerückt – aber in meinem Themenmonat Selbstakzeptanz auf Instagram könnt ihr lernen, warum das nicht so tragisch ist.
Nun war ich aber voll motiviert und legte einige Wochen im Vorfeld des 2. Moduls los. Ich suchte extra sanfte AnfängerInnen-Videos heraus und freute mich über jeden Tag, an dem ich wieder mehr Beweglichkeit in meinem Körper spürte. Unbemerkt muss ich mich aber an der ein oder anderen Stelle wohl doch überstrapaziert haben, da mich nachts starke Seitenschmerzen plagten – das Atmen fiel mir auf einer Seite extrem schwer und ich hatte Mühe, nicht in Panik zu verfallen. Ich dachte an Lungenkollaps, Rippenfellentzündungen und das böse Wort mit C, was ziemlich ungünstige Kognitionen zur Selbstberuhigung sind. Zum Glück erinnerte mich an die Ujjayi-Atmung (s. Teil 1), die mich vom Hyperventilieren abhielt – ha, hat sich die Fortbildung schon mal ausgezahlt. Ich erinnerte mich auch an meine verhaltenstherapeutische Ausbildung und wusste, dass die Angst auch wieder verschwinden würde – was sie auch tat. Die Schmerzen blieben allerdings, so dass ich zu meiner Ärztin ging. Ich staunte nicht schlecht, als sie mir eröffnete, dass es kein Problem mit meiner Lunge, sondern mit meinem Rücken gab – wahrscheinlich eine Blockade in einem Wirbel, die auch die Nervenbahnen einklemmte, die mit meinen Muskeln in der Flanke zusammenhängen und dort fiese Schmerzen verursachen können. Ich staune immer wieder über dieses Netzwerk in unserem Körper. Eventuell war mein unbegleitetes Üben zu Hause die Ursache – aber mit ein wenig Selbstwahrnehmung, Körperstabilisierung und weiterem Yoga zum Glück auch wieder zu beheben. Und nachdem ich erstmal wusste, dass es mein Rücken war, spürte ich bei den sogenannten seitenöffnenden Asanas deutlich, dass insbesondere ein verkrampfter Muskelstrang immer mehr lockerließ. Mit der neuen Information konnte ich den Schmerz umbewerten – in der kognitiven Verhaltenstherapie eine gängige Methode.
Warum ich das alles schreibe, wo es doch eigentlich um das zweite Modul gehen sollte? Fehlende Körperwahrnehmung und leichte Dissoziation sind hier Stichwörter, die ihr noch kennenlernen werdet.
Wir starteten an einem Freitag Anfang Dezember – vollständig geimpft, täglich getestet, mit reichlich Abstand zueinander und einem sehr guten Belüftungskonzept – wie auch schon beim letzten Mal mit einer Yoga-Session. Ich freute mich, dass mein Training vorab sich voll auszahlte. Es war zwar anstrengend, aber nicht überfordernd. Wir besannen uns darauf, was Yoga uns bringen könnte, wozu wir es praktizieren möchten. Sich die Frage nach dem „wozu“ zu stellen, kann unglaublich wichtig sein – bei allen Zielen die wir haben. In der Motivationspsychologie ist das Wissen um das „wozu“ ein wesentlicher Bestandteil, den wir brauchen, um überhaupt etwas zu tun. Wenn ihr euch also ein Ziel setzt, egal was, achtet darauf, dass ihr euch im Klaren darüber seid, wozu ihr dieses Ziel erreichen wollt. Und je mehr dieses „wozu“ aus euch selbst heraus kommt und nicht von außen auferlegt ist, desto wirksamer wird es sein. Kleiner Tipp: „Um etwas zu machen, weil alle anderen es so machen“ wird nicht sehr wirksam sein.
Am nächsten Tag lernten wir das autonome Nervensystem, kurz ANS, näher kennen. Das ANS ist in unserem Körper das Nervensystem, das sich der willentlichen Kontrolle unseres Gehirns entzieht und weitgehend autonom funktioniert. Es steuert in unserem Körper alle möglichen Prozesse. Es reagiert auf potenzielle Gefahrenreize und strebt nach Sicherheit. Im Grundzustand ist im ANS der Parasympathikus aktiviert, wir sind entspannt, können reflektieren, verdauen und unsere Immunabwehr stärken (Sicherheits-Modus). Werden bedrohliche Reize wahrgenommen (der berühmte Säbelzahntiger – der uns heutzutage ja ständig begegnet), wird der Sympathikus aktiviert, der dafür sorgt, dass wir körperlich in der Lage sind zu kämpfen oder zu fliehen. Unser Herzschlag wird beschleunigt, der Atem wird schneller für mehr Sauerstoffversorgung, die Verdauung wird einstellt und unseren Blick wird auf das Wesentliche fokussiert (Tunnelblick). Der „Fight or Flight“-Modus, so weit, so gut. Teilweise hatten wir das im 1. Modul schon angerissen und in der Behandlung von Angststörungen ist dies Grundwissen.
Was ich mich schon immer gefragt hatte, was eigentlich mit dem „Freeze“-Modus ist, der Totstell-Reflex, bei dem wir erstarren. Evolutionsbiologisch hat er sich entwickelt für Situationen, in denen wir nicht mehr fliehen oder kämpfen können. Dann kann es hilfreich sein, ganz still und regungslos zu sein, da uns der böse Säbelzahntiger dann vielleicht einfach nicht wahrnimmt oder uns zumindest nicht so lecker findet. Wer Jurassic Park gesehen hat, weiß, was ich meine. In der Psychotherapie begegnet uns dieses erstarrte und manchmal auch erschlaffte Verhalten z. B. bei Traumatisierungen, aber auch bei Depressionen und bei Angsterkrankungen wie z. B. der Blut-Spritzen-Phobie.
Was ich aber immer unlogisch fand, wenn wir in diesem Modus erstarren oder auch erschlaffen – was bringt dann eine sympathische Aktivierung mit hohem Puls etc.? Wir bewegen uns in diesem Zustand ja gar nicht.
Und hier habe ich im Dezember etwas grundlegend Wichtiges gelernt. Judith brachte uns die Grundzüge der Polyvagaltheorie bei. Die Polyvagaltheorie wurzelt in den Erkenntnissen von Stephen Porges, der sich in den 90ern mit dem Vagus-Nerv (Nervus vagus), der vom Hirn in den Körper reicht und alle möglichen Körperfunktionen steuert, beschäftigte. Wird ein als gefährlich eingestufter Reiz zu intensiv oder hält in existenziell bedrohlichem Ausmaß weiter an, schaltet das ANS mit dem Vagus-Nerv neben der Aktivierung des Sympathikus wieder den Parasympathikus ein. Der „Freeze“-Modus ist also vielmehr parasympathisch gesteuert und nicht sympathisch, wie ich immer dachte. Wenn wir also im wahrsten Sinne des Wortes überreizt sind, dann kommen wir mit dieser parasympathischen Reaktion in eine Art Pseudo-Entspannung, ein Rückzug in uns selbst oder in Extremfällen auch ein Rückzug aus uns selbst (Dissoziation). Wir können dann von außen betrachtet erstarrt, verlangsamt, blass, leblos und ziemlich abwesend wirken, obwohl innerlich massive Anspannung wirbelt. Kommt euch das bekannt vor? Ähnelt erstaunlich einem depressiven Erscheinungsbild. Hält der existenziell bedrohliche Reiz weiter an, können Dissoziationen auftreten. Bei der Dissoziation nehmen wir als Schutzreaktion noch nicht einmal mehr die Anspannung wahr – wir nehmen im extremsten Fall einfach gar nichts mehr wahr. Kein Schmerz, keine Angst, aber auch keine Zeit, keine Wahrnehmung und keine Freude. Etwas, was bei Traumatisierung im ersten Moment ein Schutz und hilfreich ist, ist nach dem traumatischen Ereignis meist schwierig, da plötzlich auch alltägliche Reize als existenziell bedrohlich eingestuft werden und dieses System in Gang bringen kann.
Wer sich nun in einigen Beschreibungen wiedererkennt und sich fragt, ob er oder sie jetzt schwer depressiv oder traumatisiert ist – alle drei Modi (Sicherheit, „Fight or Flight“ und „Freeze“) kommen bei gesunden Menschen vor. Um mit allen Gegebenheiten unseres Lebens zurecht zu kommen, brauchen wir alle drei Modi. Schwierig wird es erst, wenn wir aus einem Modus nicht mehr von allein herauskommen, also nicht schwingungsfähig sind. Falls das bei dir der Fall sein sollte, lass dich am besten in einem ärztlichen oder therapeutischen Gespräch beraten.
Mit diesem neuen Wissen gingen wir in die nächste Yoga-Session, wo ich lernte, warum Yoga in diesem Zusammenhang so wichtig sein kann. Ich lernte alle drei Modi bei mir selbst kennen. Beim sanften Aufwärmen spürte ich die Aktivierung meines Sympathikus, bei den schwierigeren Asanas schon teilweise eine Überreizung und bei der Endentspannung dann wieder den Sicherheitsmodus. Was ich interessant fand, war, dass ich bei einigen Asanas (insbesondere den Kriegerpositionen) mehr Überreizung und Überforderung spürte – vielleicht die Körperregionen, die mir auch im Alltag Schwierigkeiten machten? Ich dachte an meine Rückenschmerzen zurück und nahm mir vor, mich diesem Teil meines Körpers mehr zu widmen. Vielleicht habe ich diesem Teil in der Vergangenheit ja nicht genug Aufmerksamkeit und Wahrnehmung geschenkt, habe ihn vielleicht sogar leicht dissoziiert und da ich durch Yoga zwangsweise mit diesem Teil in Bewegung und Kontakt kam, konnte ich ihn in Form von Schmerz wieder spüren. Irgendwie eine blöde Form von sich wieder spüren, aber eine Notiz an mich, dass ich mit Yoga einen Weg gefunden habe, dem in Zukunft entgegenzuwirken.
Im letzten großen Themenblock des Moduls lernten wir, wie wir die Schwingungsfähigkeit des ANS wieder herstellen können. Wenn wir uns (oder der/die PatientIn) im „Freeze“-Modus befinden, können wir nicht direkt in den Entspannungs-Modus übergehen. Wir brauchen den Weg über die sympathische Aktivierung, um uns selbst wieder spüren zu können. Dies kann mit drei Mitteln erreicht werden: Bewegung (muss nicht zwangsläufig Yoga sein – kann es aber), Orientierung („Ich bin im Hier und Jetzt“, Wahrnehmung der Umgebung um mich herum) und/oder Kontakt (zu anderen Menschen). Ich fand es erstaunlich, wie gut es in den Zweier-Übungen, die wir durchführten, funktionierte und lernte, warum so viele Traumatisierte sagen, dass z. B. Meditation und „Entspannungsübungen“ nicht funktionieren – einfach, weil ihr Nervensystem noch übererregt ist und sie zunächst erst einmal Bewegung, Orientierung und oder Kontakt brauchen. Gleichzeitig verstand ich die Aussage aus dem 1. Modul noch besser, dass die Atemübungen (1. Modul) und Yoga (2. Modul) eine Vorbereitung auf die Meditation (3. Modul) seien. Damit wir entspannt mit uns in Kontakt zu kommen, ohne wegzudriften, braucht es Bewegung, Orientierung und Kontakt. Ich bin sehr dankbar für das Wochenende, sowohl für mich Privat und mein therapeutisches Arbeiten. Die körperlichen Prozesse zu verstehen, hilft, sich selbst besser zu verstehen und zu akzeptieren. Ich freue mich auf das nächste Modul zum Thema Meditation, in dem es noch einmal viel um das Hier und Jetzt gehen wird. Wer jetzt hier mit dem Lesen bis zum Ende gekommen ist – Respekt – du hast dir eine Belohnung verdient. Vielleicht einmal kurz aufstehen, dich genüsslich strecken, gähnen und umsehen? Namasté oder so.
Bis zum nächsten Mal,
seid nett zu euch,
hört auf euren herzverstand!
*Die Nennung ist unbezahlt.